Covid-19 : Wie die Krise auf unsere Psyche wirkt

Psychologische Beratung bei Corona: Arzt hält Blutröhrchen mit Coronavirus Aufschrift

Spätestens seit den vom Bundesministerium ausgerufenen Ausgangsbeschränkungen betrifft der Corona-Virus jede:n Bürger:in Österreichs. Medienberichte konfrontieren uns täglich mit Neuigkeiten zum Virus. Home-Office und Kurzarbeit haben unseren Arbeitsalltag schlagartig verändert. Erkrankungsfälle im näheren Umfeld machen uns Angst. Plötzlich ist alles anders. 

Die gesetzten Maßnahmen des Bundesministeriums bewirken, dass wir körperlich (physisch) möglichst gesund bleiben und das Ansteckungsrisiko mit dem Corona-Virus reduzieren. Was passiert in dieser Krise aber eigentlich mit unserer mentalen (psychischen) Gesundheit? 

  • Mit welchen Veränderungen sind wir plötzlich konfrontiert? 
  • Wie wirkt sich die Situation auf Ängste und Sorgen aus? 
  • Wie gehen wir mit Isolation und „Kontaktverbot“ um? 
  • Wie reagieren wir auf diese plötzliche und allumfassende Veränderung? 

Diesen und weiteren Fragen wird in diesem Blog nachgegangen.

1. Alles ist plötzlich anders.

Egal, ob die plötzlichen Ausgangsbeschränkungen, die ungewohnte Sicherheitsabstand-Pflicht im öffentlichen Raum, die Verlagerung des Arbeitsplatzes vom Büro ins Home-Office, die neuen Rahmenbedingungen in der Kinderbetreuung (Kindergarten und Schule ins Eigenheim verlegt) oder die Veränderung des gewohnten Einkaufs im Supermarkt. Plötzlich dreht sich alles um die Gefahr des Corona-Virus. Nichts ist, wie es vor Kurzem noch war.

2. Bekannte Routine & soziale Kontakte ade!

Zusätzlich zu den oben angeführten Veränderungen fällt von einem auf den anderen Tag ein Großteil unserer Routinen und sozialen Kontakte weg. 

Kein persönliches Treffen der Arbeitskolleg:innen, Studienkolleg:innen, Freund:innen und der Familienangehörigen. Keine Gym-Session mit deinem:r besten Freund:in, keine Kaffeepause mit den Kolleg:innen, kein gemeinsames Sonntags-Familienessen im großen Familienkreis.

Frau nutzt psychologische Online-Beratung in Graz

3. Abstand bitte!

Wir sind es gewohnt, zumindest den Personen in unserem näheren Umfeld, nahe zu sein. Den Geschäftspartner mit Handschlag begrüßen, ein High-Five mit dem besten Freund, ein Bussi links – ein Bussi rechts auf die Wangen der besten Freundin oder Umarmung von den Eltern. Plötzlich wird Nähe für alle Beteiligten zur Gefahr. Gewohnte Nähe, die die meisten von uns von klein auf kennen gelernt und als unbedenklich bzw. positiv verankert haben, ist nicht mehr möglich.

4. Hallo Gefühlswelt!
Mit einer Vielzahl an Gefühlen konfrontiert.

Zusätzlich zu den oben angeführten Veränderungen fällt von einem auf den anderen Tag ein Großteil unserer Routinen und sozialen Kontakte weg. 

Die plötzlich neue und ungewisse Situation kann eine Vielzahl an verschiedenen Gefühlen in uns auslösen. In diesem Abschnitt findest du eine Übersicht möglicher Emotionen und dazugehörige Auslöser.

Überforderung im PRivatleben

Der Krisen-Alltag bringt mich an meine Grenzen.

  • Ungewohnte und neue Arbeits- bzw. Familienzeiten koordinieren
  • 24/7 Kinderbetreuung von zu Hause
  • Unterstützung der pflegebedürftigen Angehörigen
  • Herausforderungen in der Organisation durch infizierte bzw. erkrankte Menschen im eigenen Umfeld
  • Überforderte Lebenspartner:innen im Umfeld

Überforderung im Beruf

Hilfe, ich fühle mich durch die neue Situation überfordert.

  • Plötzlich neue Abläufe
  • Bestehende Arbeitsroutinen werden auf den Kopf gestellt
  • Täglicher Kontakt mit (möglicherweise infizierten) Menschen im Gesundheitswesen oder Handel
  • Ausfall der Kolleg:innen durch Corona-Infektion
  • Höheres Arbeitspensum aufgrund Mitarbeiterausfall und neuer Rahmenbedingungen
  • Umstellung auf Home-Office
Mann ist überfordert

Langeweile

Ich habe plötzlich nichts zu tun und darf auch nicht raus.

  • Betroffenheit von Kurzarbeit oder Jobverlust
  • Abgesagte Vorlesungen an der Uni
  • Wegfall der gewohnten Freizeitaktivitäten
  • Events und Partys abgesagt
  • Treffen der Freunde nicht möglich

Ängste, Sorgen & Unsicherheit

Wie geht’s weiter? Ich habe Angst und mache mir Sorgen.

  • Angst um die eigene Gesundheit: Werde ich die Pandemie überleben?
  • Sorge über die Gesundheit der Kinder, Partner:innen, Eltern und Verwandten
  • Habe ich meine Hände gut gewaschen?
  • Könnte ich jemanden angesteckt haben?
  • Wird sich die Wirtschaft wieder erholen?
  • Wie geht’s in meinem Job weiter?
  • Werden wir in Zukunft genug Geld haben?
  • Kann ich die Kreditraten auch in Zukunft noch bezahlen?
  • Müssen wir unser Eigenheim aufgeben?
  • Habe ich alles richtig gemacht?

Angst ist für das Überleben unverzichtbar.

– Hannah Arendt –

wut

Scheiß Corona! – Zorn auf..

  • das Virus
  • die Situation
  • das System
  • die Ausgangsbeschränkungen
  • den:die Partner:in*
  • Familienmitglieder*

*Sich mit mehreren Personen über längere Zeit auf engerem Raum aufzuhalten (gesamte Familie in kleiner Wohnung, 24/7 mit Partner:in konfrontiert), kann uns an unsere persönlichen Belastungsgrenzen bringen und Konflikte fördern.

Einsamkeit

Hilfe, ich fühle mich so alleine! Vor allem Singles…

  • ohne gewohnte soziale Kontakte zu Freunden
  • ohne gewohnte Dates
  • ohne gewohnten Weg zur Arbeit

Trauer

über eventuell erkrankte oder verstorbene 

  • Freunde
  • Familienmitglieder
  • Arbeitskolleg:innen
  • Personen aus dem Umfeld

Hilflosigkeit & Ohnmacht

Ich kann nichts tun. Kontrollverlust über…

  • das Virus
  • die Erkrankung der Angehörigen
  • den verlorenen Job
  • die Kurzarbeit
  • die Wirtschaft
  • die weltweite Situation

All diese Emotionen sind vollkommen menschlich und dürfen sein. Wichtig ist, hier einen guten Umgang mit den eigenen Gefühlen zu finden.

Traurige Frau hält Hand ins Gesicht

5. Alte Wunden: Das Ungelöste kehrt immer wieder zurück.

Die aktuelle Krise und die damit einhergehenden Umstände können auch dazu führen, nicht verarbeitete Erlebnisse der Vergangenheit zu aktivieren – sprich alte Wunden wieder spürbar zu machen.

Einerseits sind wir durch die Ausgangsbeschränkungen und durch reduzierte soziale Kontakte mehr mit uns selbst konfrontiert. Die Flucht in Aktivitäten ist vielleicht in dem vorhin bekannten Ausmaß nicht mehr möglich. Zusätzlich sind wir durch die Pandemie mit dem Tod konfrontiert. Dabei können innerlich viele Fragen aufkommen:

  • Wo stehe ich im Leben eigentlich?
  • Was habe ich bis jetzt erreicht?
  • Bin ich mit meinem Leben zufrieden?
  • Habe ich mein Leben bis jetzt genossen oder Zeit verschwendet?
  • Wer bin ich? Was will ich erreichen?
  • Wofür will ich meine Lebenszeit nutzen?

Andererseits kann die Situation alte Wunden „aktivieren“. Unverarbeitete, ungelöste Probleme, Konflikte und Themen der eigenen Psyche können plötzlich „anklopfen“:

  • Mobbing aus der Kindheit und Schulzeit
  • Erlebte Gewalterfahrungen
  • Konflikte mit den Eltern
  • Körperlich und psychisch verletzende Erfahrungen

Was tun mit diesen Gefühlen und Gedanken? Erfahre hier mehr darüber.

6. Hallo Alkohol und Essen!

Achtung vor schädigenden Kompensationsstrategien. – Um mit Gefühlen (z. B. Stress) und Situationen (z. B. Krisen) umgehen zu können, hat jede:r von uns im Laufe des Lebens verschiedene und individuelle Bewältigungsstrategien entwickelt, auf die wir in solchen Situationen immer wieder zurückgreifen können. Manche davon sind eher gesunde (z. B. Sport), andere wiederum eher ungesunde (z. B. Konsum von diversen körperlich schädigenden Substanzen).

Im Zeitraum der aktuellen Corona-Krise sind die Möglichkeiten zur Bewältigung der Situation aufgrund vieler Beschränkungen eingeschränkt. Hier besteht die Gefahr, dass wir eher auf Strategien wie Konsum von Alkohol, ungesundem Essen oder anderen Substanzen zurückzugreifen.

Es kann sich gut anfühlen, die aktuellen Sorgen mal mit einem Glas Alkohol zu „betäuben“, die Angst mit einem großen Stück Kuchen „runterzuschlucken“ oder durch den Konsum anderer Substanzen besser durchzuschlafen.

Diese kurzfristigen Lösungen können schnell zur Gewohnheit werden. – Nicht nur für unsere Routine, sondern auch für unseren Körper. Durch die sogenannte Toleranzentwicklung gewöhnt sich der Körper nämlich an die Zufuhr und benötigt laufend größere Mengen, um einen gleichbleibenden Effekt (zB Entspannung) zu erfahren.

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Du merkst, dass sich dein Konsumverhalten (Essen, Alkohol, TV, Gaming, Shopping etc.) in den letzten Wochen verändert hat?

Red‘ ma drüber. Ein Gespräch über deine aktuelle Situation und deine Gefühle, mit denen du aktuell konfrontiert bist, wirkt oft entlastend und kann Stabilität geben.

7. Ausnahmesituation in systemerhaltenden Berufen

Personen in systemerhaltenden Jobs (Gesundheitswesen, Polizei, Pflege, Handel) sind aktuell besonders gefordert. Einerseits verändern sich nahezu täglich Abläufe:

  • Kapazitätsveränderungen und Quarantäneschließungen im Gesundheitswesen
  • weniger Möglichkeiten für Sicherheitsabstand in der Pflege und Ausfall von Pflegekräften
  • neue Fokusthemen im Exekutivdienst wie zum Beispiel Kontrolle der Maßnahmen seitens der Bundesregierung
  • Plexiglas und Mund-Nasen-Masken im Handel

Andererseits kann der tägliche Kontakt mit Menschen Ängste und Sorgen hervorrufen:

  • Wie groß ist das Risiko, dass ich mich auch anstecke?
  • Wie kann ich die Ansteckungsgefahren für meine Familie und mein privates Umfeld verringern?
  • Wie kann ich trotz der neuen Vorschriften und Gefahren einen guten Job machen?

All diese Herausforderungen können belasten und überfordern.

Genau für diese Berufsgruppen haben meine Kolleg:innen und ich die helferzone.at gegründet.
Du bist ein:e Held:in in einem dieser Berufe? Wir von der helferzone.at sind für dich da. #weilsnetwurschtist

8. Panik durch Medienflut & Fake-News

Täglich, stündlich – teilweise sogar alle paar Minuten – erhalten wir neue Informationen zum Virus. Verschiedene Medien berichten laufend über Zahlen der Erkrankten und der Todesfälle, über wirtschaftliche Auswirkungen und Arbeitslosigkeit. Die einen Quellen etwas sachlicher und seriöser, die anderen etwas emotionaler. Zusätzlich gehen Social Media Kanäle mit verschiedensten Informationen zum Thema Corona-Virus über. Verschwörungstheorien und Fake-News breiten sich rasant aus.

Diese Informationsflut kann uns überfordern. Einerseits kann es für unser Gehirn äußerst anstrengend sein, laufend neue Informationen zu einem beunruhigenden und emotional behaftenden Thema zu verarbeiten. Andererseits erlauben wir unserem Gehirn, unserem Körper und unserer Psyche durch permanenten Medienkonsum kaum Pause.

Die Medienflut kann somit nicht nur überfordern, sondern durch negative Inhalte auch Verwirrung, Verunsicherung oder Panik auslösen.

9. Muss ich sterben? Hilfe, ich bin an Corona erkrankt!

Personen, die an Corona erkrankt sind und dadurch einem strengen Ausgangsverbot unterliegen, sind mit mehreren Themen gleichzeitig konfrontiert. Einerseits das Eigenheim für 2-4 Wochen nicht verlassen zu können, andererseits mit Fragen wie zum Beispiel:

  • Werde ich wieder gesund?
  • Wie wirkt sich der Virus in mir auf meinen Körper aus?
  • Werde ich auch auf der Intensivstation behandelt werden müssen?
  • Wie überlebe ich die nächsten 2-4 Wochen in Quarantäne?
  • Habe ich bereits andere Menschen angesteckt?

Auch mental sehr starke Personen können in dieser Situation an die persönlichen Belastungsgrenzen stoßen: Körperlich geschwächt und zusätzlich verschiedenen Gedanken, Sorgen und Ängsten auf mentaler (psychischer) Ebene ausgesetzt. 

Darüber zu sprechen kann für Entlastung sorgen. Entweder telefonisch mit Familie und Freunden oder in einem professionellen Rahmen. Dadurch kann via Telefon für Erleichterung gesorgt werden, ohne andere zu gefährden. #schauaufdich – auch mental.

10 Tipps um die Corona-Zeit mental besser zu überstehen

Wie können wir mit der Veränderung in der Corona-Zeit bestmöglich umgehen? Was kann uns in diesem Umbruch Halt geben? Erfahre in diesem Blogartikel, mit welchen Tipps du dir trotz Veränderung Stabilität schaffen kannst.

Nahezu alle Krisen lassen sich bewältigen – vorausgesetzt, wir schulen unsere innere Stärke […].

– Siegfried Santura –

Resümee

Die plötzliche Krise hat schlagartig unser Leben verändert. Tägliche Routinen ändern sich oder fallen weg, soziale Kontakte sind nur eingeschränkt möglich und der nötige Sicherheitsabstand verändert die sozialen Kontakte. Diese Veränderungen konfrontieren uns mit einer Vielzahl an Gefühlen. Gefühle, die wir vielleicht bereits aus vergangen Erfahrungen kennen, aber auch Gefühle, die uns vielleicht neu sind. 

Jede:r einzelne von uns versucht die Krise bestmöglich mithilfe eigener Bewältigungsstrategien zu überstehen. Wird hier auf Strategien wie zum Beispiel Alkoholkonsum zurückgegriffen, kann aus dieser aktuellen Krise eine Sucht entstehen. Psychologische Beratung kann dabei helfen, einen guten Umgang mit der Situation bzw. den eigenen Gefühlen zu finden und die innere Stärke zu aktivieren. 

Philipp Werderits sitzt im Garten der Hypnose-Praxis in Graz

Philipp

Werderits, BA

Was mache ich als Psychologischer Berater i.A.u.S.¹?
Ich begleite Menschen in deren persönlichen Entwicklungsprozessen: Durch Gespräche finden wir in belastenden Situationen zu Erleichterung und Entlastung. Durch verschiedene Blickwinkel erarbeiten wir neue Lösungswege für aktuelle Probleme und Herausforderungen. Durch Analyse der eigenen Stärken entfalten wir gemeinsam persönliche Potentiale.

Meine Sicht & meine persönliche Wahrnehmung

Der Inhalt dieses Blogs ist meine persönliche Sicht zu diesem Thema im Rahmen der Corona-Krise. Der Text ist aufgebaut auf meine persönlichen Erfahrungen, meine persönliche Wahrnehmung, aber auch belegtes Fachwissen. Ich freue mich über eine Diskussion mit dir, um inhaltliche Aspekte auch von anderen Blickwinkeln beleuchten zu können.

[1] in Ausbildung unter Supervision